Leider reicht der enge Raum unsrer Zeitschrift nicht aus, unserer Meinung über das Wiener Telefon einigermaßen erschöpfend auszusprechen. Auch ist der Wortschatz der deutschen Sprache zu gering, um für diesen jämmerlichsten aller Zustände auch nur ein Halbdutzend wirklich charakterisierender Ausdrücke zu finden. Die wenigen, die es gibt, muß man als Mensch von Art und Sitte füglich meiden. Aber da wir uns einmal mit dem Wiener Telefon zu befassen begonnen haben, gedenken wir, um den Interessen Tausender zu dienen, auch in Zukunft in dieser löblichen Beschäftigung fortzufahren. Das Kapitel „Telephonisches – Allzu Telephonisches“ ist ja, Gott sei´s gedankt, unerschöpflich.

Für heute wollen wir uns mit einer – sagen wir recht milde: Unsitte befassen, die in jedem anderen Staate ganz unmöglich wäre. Wir meinen den Brauch, daß die Telephonabonnenten den bei dem respektiven Amte beschäftigten Telephonfräulein Neujahrsgeschenke machen, die den Zweck haben sollen, die betreffenden Damen zu besserer Bedienung der Apparate freundlich anzuregen. Den Telephondamen seien unseretwegen die milden Gaben, die ihnen von klugen Teilnehmern gespendet werden, gerne gegönnt. Aber wenn man die Sache bei Licht betrachtet, so hat sie doch einen Haken. Geschenke verpflichten und keine Geschenke pflegen zu verstimmen. Wir wollen keiner Telephonistin nahe treten, aber die Damen sollten um ihres eigenen Ansehens willen es wenigstens vermeiden, sich solche Geschenke beim Portier des Amtes deponieren zu lassen. Den Vermutungen unzufriedener Abonnenten, daß sie ihre Qualen am Telephon ihrer geringen Freigebigkeit zu danken haben, müßte auch der Schatten jeder Berechtigung entzogen werden. Jänner 1912
