Die Presse der Welt 1889

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Über den Wert der Presse, der Tagespresse sowohl wie der Zeitschriften, ist oft und viel gestritten worden. Talleyrand bezeichnete die Presse einmal als den Turnierplatz der öffentlichen Meinung, ein charakteristischer Ausdruck, der zugleich die Notwendigkeit und Nützlichkeit des Zeitungswesens zugibt und damit ihre Existenzberechtigung bejaht. Schon Julius Cäsar mag sich von der Zweckmäßigkeit einer Tageschronik im Interesse der außerhalb Roms lebenden Staatsangehörigen überzeugt haben, denn die acta diurna publica, die Zeitungen des alten Rom, waren eine Gründung Cäsars.

Freilich lassen sich diese periodischen Veröffentlichungen der Römer ebensowenig mit unseren Zeitungen vergleichen, wie der im Jahre 1366 von Hong-vu, dem ersten der Mingkaiser, in Peking gegründete chinesische Staats-Anzeiger mit einem Journal von heute. Der Journalismus im wahren Sinn des Wortes, der politische wie der literarhistorische, konnte sich naturgemäß erst nach der Erfindung der Buchdruckerkunst und nach Einführung eines geregelten Postverkehrs entwickeln. Im Mittelalter konnten ganze Reiche untergehen und man hörte erst nach Jahren davon; wenn jenseits des Ural eine welterschütternde Neuheit passierte, so konnte man sich in Madrid gratulieren, wenn man von dieser Tatsache dort nach zweimal zwölf Monden unterrichtet wurde, und nicht erst nach einem Lustrum.

Schade, daß wir keinen „Erfinder“ der Zeitungen kennen, – er verdiente sicher ein Denkmal neben den Größten der Erde. Aber das Zeitungswesen hat keinen Entdecker wie die Neue Welt, – es entwickelte sich naturgemäß aus den sogenannten „Relationen“, in welchen man im 16. und 17. Jahrhundert die einlaufenden Neuigkeiten mitteilte und die man für kleine Münze verkaufte. Leider weiß man auch nicht einmal, wer der erste findige Kopf gewesen, der mit diesen Relationen Geschäfte gemacht hat. Schon 1536 erschienen derartige Neuigkeiten in Venedig und zwar über den Krieg mit Soliman II.; – nicht viel später tauchten sie auch in Deutschland auf. Hier hatten sie allerdings schon Vorgänger in den Fliegenden Blättern, den ersten Erzeugnissen der Buchdruckerkunst, gefunden, deren ältestes nachweisbar vom Jahre 1493 datiert.

Der Name „Zeitung“ tauchte um 1505 zum ersten Mal auf, – die erste wirkliche, wenn auch vorerst nur wöchentlich erscheinende Zeitung aber, von der wir Kenntnis haben, ist 1609 in Straßburg gedruckt und herausgegeben worden.

Heute gibt es Zeitungen und Zeitschriften wie Sand am Meer, und damit ist auch die heikle Frage, über die einst im englischen Parlamente debattiert wurde: Sind Zeitungen Bedürfnis oder Luxus? entschieden worden. Wenn Ernst Julius Weber, der lachende Philosoph, behauptet, die älteste Frage der Welt sei die: Was gibt´s Neues? – so hat er zweifellos Recht, und kein Mensch kann gemeinhin die altehrwürdige Frage besser beantworten, als die Zeitung.

Das ausgedehnteste Zeitungswesen besitzt England, wohl auch diejenigen Zeitungen, die sich des höchsten Abonnentenstandes zu erfreuen haben. Man hat darüber gestritten, ob der Wert eines literarischen Unternehmens sich in der Höhe seiner Auflage dokumentiert, und in der Tat haben oft recht mittelmäßige Werke bedeutend mehr Absatz gefunden, als solche, die vor dem Forum der Kritik die Feuerprobe glänzend bestanden. Wie die Beliebtheit eines Autors, so ist aber zweifellos auch die Beliebtheit einer Zeitung lediglich aus den Listen der Auflage zu ersehen. In übertragener Bedeutung würde demzufolge der Engländer der eifrigste Zeitungsleser sein, und er ist es neben seinem Stammesbruder in Amerika auch wirklich.

An Alter kann sich das Zeitungswesen Englands mit dem Deutschlands messen. Unter Königin Elisabeth erschien das erste Neuigkeitsblatt 1588, als die unüberwindliche Armada drohte; von der Zeit des dreißigjährigen Krieges ab aber gab es Zeitungen in Menge. Das erste regelmäßig erscheinende Journal im Sinne der Jetztzeit war der „Public Intelligencer“ von 1661. Heute ist die verbreitetste Zeitschrift in England „Lloyd´s Weekly Newspaper“, das in der stattlichen Auflage von 600.000 Exemplaren wöchentlich erscheint. Ihr zur Seite steht „Weekly Budget“ mit 350.000 Abonnenten und ferner die gleichfalls wöchentlich erscheinenden Zeitschriften „Reynolds´s Newspaper“, „Tit Bits“ und „War Cry“ mit je ungefähr 300.000. Von den Tageszeitungen marschiert „The Daily Telegraph“ mit 250.000 Abonnenten an der Spitze, ein Blatt, das in der ersten Zeit seines Bestehens mit bitteren Sorgen zu kämpfen hatte.

Neben ihm hat „The Standard“ die höchste Auflage als Organ der Tory-Partei erreicht, das einzige Blatt England übrigens, das in einer Morgen- und Abendausgabe erscheint. Die illustrierte Presse ist am würdigsten durch die „London News“ und „The Graphic“ vertreten; von den Monatsblättern hat „The Quiver“ sich die respektable Anzahl von 150.000 Abonnenten erobert.

Die amerikanische Presse ist naturgemäß die jüngste der Welt, an Macht und Ansehen steht sie derjenigen Englands nicht nach. Ihr Hauptaugenmerk ist in der Schnelligkeit der Mitteilungen zu suchen; die amerikanische Zeitung ist in erster Linie „Newspaper“ – ein Neuigkeits-Medium. Das bekannteste der Journale der neuen Welt ist noch heute der von Bennet geründete „The New York Herald“, der, in einer Auflage von 100.000 erscheinend, seinen Namen durch die Stanley´sche Expedition zur Auffindung Livingstone´s in hohem Grade populär gemacht hat. An Abonnenten haben den „Herald“ im Laufe der Jahre allerdings zahlreiche andere Blätter überflügelt, so vor Allem die demokratische, 1860 von einem Österreicher ins Leben gerufene „World“, die 200.000 Leser zählt. In der illustrierten Presse Amerikas nehmen seit langem zwei Gründungen der Firma Harper Brothers die erste Stelle ein: „Harper´s Weekly“ mit 175.000 und „Harper´s New Monthly Magazine“ mit 185.000 Abonnenten.

Auch der Franzose ist als eifriger Zeitungsleser bekannt, wenn seine Presse auch ganz verschieden von der Englands und Amerikas ist. An Stelle einer etwas weitschweifigen Gediegenheit tritt hier, dem National-Charakter entsprechend, der prickelnde Esprit, die leichte Form, die in Grazie verhüllte Frivolität und schließlich – der Klatsch. Es ist bezeichnend für die Franzosen, daß ihr meistgelesenes Blatt „Le Petit Journal“, das in einer Höhe von 375.000 Exemplaren täglich verkauft wird, ein sogenanntes Boulevard-Blatt echtester Färbung ist. Einen starken Aufschwung hat, infolge der immer stärker anwachsenden sozialistischen Unterströmung in Frankreich, in letzter Zeit Rocheforts „LÍntransigeant“ genommen, der in 250.000 Exemplaren erscheint. Dem „Petit Journal“ geistig nahe steht „La Laterne“, ein Klatschblatt, das von etwa 150.000 Lesern täglich verschlungen wird. Von den illustrierten Journalen Frankreichs hat nur „Le Journal illustrée“ eine bedeutendere Auflage (125.000), während das illustrativ beste Blatt „L´IÍllustration“, das allerdings ziemlich teuer ist, es nicht auf über 20.000 Abonnenten hinaufbringen kann.

Ungleich anders gestalten sich die Zeitungsverhältnisse in Italien. Die Epigonen des Romulus scheinen nicht viel Gewicht darauf zu legen, daß Julius Cäsar ihnen die erste Idee zu einer Tageschronik in den römischen „acta publica“ geschenkt hat. Das weitverbreitetste Journal Italiens erscheint nämlich nicht in Rom, sondern in Mailand und ist „Il Secolo“, der in einer Auflage von 200.000 Exemplaren gedruckt wird. Das römische Hauptblatt „La Tribuna“ hat schon 100.000 Leser weniger, und nun folgt mit gegen 50.000 Abonnenten gleich eine ganze Anzahl, wie der „Corriere della Sera“, der „Messagero“, der „Popolo romano“ und Ähnliche. Von den illustrierten Zeitschriften hat nur der „Emporio pittoresco“ eine bedeutendere Auflage, weil er dem „Secolo“ als Gratisbeilage beigegeben wird.

Während wir in den übrigen Ländern gefunden haben, daß die Tageszeitungen den illustrierten Zeitschriften bei Weitem vorgezogen werden und demgemäß auch einen bedeutend höheren Absatz erzielen als diese, ist im deutschen Zeitungswesen die merkwürdige, sich vielleicht aus der Überproduktion auf diesem Gebiete erklärende Tatsache zu verzeichnen, daß die höchsten Auflagen von illustrierten Wochenblättern erreicht werden. Eine Auflage von über 200.000 hat kein deutsches Tagesjournal, eine solche über 100.000 unseres Wissens nur ein einziges Berliner Localblatt erreicht. Diese Bevorzugung der illustrierten Zeitschriften fällt umso mehr ins Gewicht, als das Leihbibliothekswesen bei uns in ungleich höherem Schwunge steht, als in England, Frankreich und Amerika.

Es wäre ungerecht aus diesen Tatsachen die Schlußfolgerung  ziehen zu wollen, daß unser politisches Leben ein weniger regsames wäre als anderwärts; wir meinen vielmehr, näher liegt eine andere Folgerung, – die nämlich: daß die deutsche Frau ein intimeres Interesse für schöngeistige Unterhaltung, Anregung und Belehrung bekundet, als die Engländerin und Französin. So auch nur läßt sich erklären, daß die „Gartenlaube“ die hohe Auflage von 280.700 Exemplaren erreichen und „Über Land und Meer“ sich 130.000 Leser erobern konnte. Eine noch höhere Auflage, die höchste aller deutschen Blätter, haben die „Modenwelt“ und die „Illustrirte Frauen-Zeitung“ zu verzeichnen. Die beiden Zeitschriften zählen nicht weniger als 352.000 Abonnenten, eine Auflage, die sich bis auf 482.000 Exemplare erhöht, wenn man die zwölf fremdsprachlichen Ausgaben der „Modenwelt“ noch hinzurechnet. (Dieselben erscheinen in Paris und Brüssel, Mailand, Madrid und Buenos Aires, Rio de Janeiro, London und New York, im Haag, Kopenhagen, Mamö und Stockholm, St. Petersburg, Jungbunzlau und Prag, Warschau, Budapest.)

Die riesige Verbreitung dieser Blätter fußt natürlich auf ganz besonderen Ursachen, die kennen zu lernen nicht uninteressant ist. Wenn Professor Reuleaux bei Gelegenheit der Weltausstellung in Philadelphia vor einer Reihe von Jahren äußern konnte, die dort ausgestellten Erzeugnisse deutscher Industrie zeichneten sich im Allgemeinen dadurch aus, daß sie billig – aber schlecht wären, so mag das seine Richtigkeit haben. Für die „Modenwelt“ und die „Illustrirte Frauenzeitung“ hätte das herbe Urteil Reuleaux ´ jedoch wesentlich modifiziert werden müssen, denn schon damals hatten sie ihren Pflug über die ganze civilisierte Welt genommen und überall da, wo Kultur und Bildung wohnt, festen Fuß gefaßt, – Dank dem Grundsatze, der für ihre Leiter von Begründung an maßgebend gewesen ist: billig – und gut! Die „Modenwelt“, deren Abonnementspreis auf vierteljährlich 1 M. 25 Pf. festgesetzt ist, erscheint zweimal im Monat und enthält gegen 2000 Abbildungen mit Beschreibungen, welche das ganze Gebiet der Garderobe behandeln, außerdem aber noch 400 Muster-Vorzeichnungen für Weiß- und Buntstickerei, Monogramme, Chiffren usw. Der volle Inhalt der „Modenwelt“ mit all ihren Beilagen bildet auch einen wesentlichen Bestandteil der „Illustrirten Frauen-Zeitung“, die, im Formate von „Über Land und Meer“ in Wochen-Nummern erscheinend, seit langem zu den vornehmsten Unterhaltungsblättern Deutschlands zählt.

Zum Stabe ihrer Novellisten, so Richard Voß, Balduin Groller, Herman Heiberg, Marie von Ebner-Eschenbach, Heinrich Seidel, A. von der Elbe, Alexander Baron von Roberts, Eufemia, Gräfin Ballestrem, Moritz von Reichenbach, E. Vely, J. Boy-Ed, Gerhard von Amyntor, Karl Emil Franzos, Jakob von Falke, E. Biller, F. von Zobeltitz, Julius Lessing, Elise Poltko, Hans Hopfen, Ernst Wichert u A. Unter den künstlerischen Beiträgen finden wir die Namen Aschenbach, Angeli, Defregger, Gussow, v. Heyden, P. Meyerheim, Blockhorst, Thumann, Harrach, Vautier, Mierusz-Kowalski, Skarbina, Langhammer, Vogel, Kaempfer, Schlitt, Henseler, A.v. Werner, Hermann, Bartels, Gude und viele Andere vertreten. Dem stattlichen Aufgebot dieser vereinten Kräfte entspricht die Ausführung jeder einzelnen Nummer der „Illustrirten Frauen-Zeitung“, deren Inhalt zudem noch durch jährlich 12 colorierte Modenbilder, die in ihrer lebensvollen Ausführung die Neuheiten der Mode reizvoll veranschaulichen, durch 8 farbige Musterblätter und 8 Extra-Blätter eine weitere Bereicherung erfährt.

Trotz dieser künstlerischen Anstrengungen ist der Abonnementspreis auch dieses Blattes ein sehr niedriger. Die „Illustrirte Frauen-Zeitung“ kostet nämlich mit all den angeführten Beilagen vierteljährlich nur 2 M. 50 Pf. und in ihrer „Großen Ausgabe“, die noch 40 farbige Modenkupfer mehr enthält, 4 M. 25 Pf. Der billige Preis im Verein mit der Vortrefflichkeit ihres Inhalts und ihrer künstlerischen Ausstattung haben der „Illustrirten Frauen-Zeitung“ den Weg über die Welt geebnet.

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