Über Eisenbahnfahrten 1890

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Das Eisenbahnfahren ist nach Ansicht der Mehrheit, eigentlich eine Strafe, weil unsere Eisenbahnverwaltungen es noch nicht, gleich den amerikanischen, verstanden haben, dem Reisenden die gleichen Annehmlichkeiten zu bieten, wie sie von den Dampfschiffen geboten werden. So zahlen Viele, die es sonst eilig nicht haben, gern einen höheren Preis, um dem Eisenbahnwagen schneller zu entrinnen. Daher die erhöhten Tarife für Schnellzüge. Daher wohl auch der Vorschlag eines Fachmannes, des Dr. Vietor, Eisenbahnfahrten nicht mehr nach der zurückgelegten Entfernung, sondern nach der im Wagen verbrachten Zeit zu berechnen. Für eine Fahrt von 10 Minuten würde man, nach seinem Vorschlage, in der zweiten Klasse bei Personenzügen 20 Pfennige, bei Schnellzügen 40 Pfennige und bei Jagdzügen 60 Pfennige bezahlen, welche Steigerung damit begründet ist, daß der Fahrgast im Jagdzuge dem Marterkasten viel früher entrinnt, als der Unglückliche, der sich dem „Bummelzuge“ anvertraut. Man macht also nicht eine Reise von so und so vile Kilometern, sondern von so und so viel Minuten, und kauft die entsprechenden Zehn- oder Hundertminuten-Marken überall, wie Briefmarken. Ihre Geltungsdauer ist unbegrenzt und man gibt sie beim Antritt der Reise dem Schaffner gleichsam in Zahlung.

Was uns an dem Vorschlage gefällt, ist weniger der Minutentarif, wie der Gedanke, daß die Eisenbahn-Fahrkarten überall zu haben sind und eine unbegrenzte Gültigkeit besitzen. Der Gedanke ist bekanntlich bei der Berliner Stadtbahn und in Amerika mit einer kleinen Eimschränkung bereits durchgeführt, während die übrigen Bahnen noch immer an dem Zopfe festhalten, daß eine Fahrkarte nur für einen bestimmten Zug und eine bestimmte Zeit gilt. G. v. Muyden

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Etwas vom Steinkohlenteer 1889

Wer sollte es der schmierigen, schwarzen Masse, welche Teer genannt wird, ansehen, welche Fülle der verschiedenartigsten Stoffe aus ihm bereitet werden. Und doch wird aus demselben nicht nur Benzin und Karbolsäure, Pech und Asphalt, sondern auch die glänzenden Anilinfarben, gegen…
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Ein Eroberer 1908

Sei gegrüßt, du fröhlich Märchen,Sei willkommen, Karneval,Kommt, Ihr beiden kleinen Närrchen,Kommt, wir gehen zum Faschingsball!Was uns auch bisher woll´t schrecken,In des Werktags trübem Grau,Heut werft alles in die Ecken,Heut ist uns der Himmel blau! ----------------------- Sei gegrüßt, du fröhlich Märchen,Sei…
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Politische Humorrevue 1. Quartal 1899

Beginn der Serie: Dieswöchentliche Tätigkeit des Koriandoli-Grafen 14. Januar: Seine Excellenz Graf Franz v. Thun-Hohenstein* hat den über seine Brauerei in Bodenbach verhängten Boykott zur Kenntnis genommen und beschlossen zu - schweigen. * Vom März 1898 bis Anfang Oktober 1899…
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Pariser Chronik Februar 1889

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Ein neues Nagetier in Böhmen 1911

In mehreren Blättern erschienen kürzlich Berichte über ein neues Nagetier in Böhmen, über die sogenannte Biberratte. Im Jahre 1906 wurden einige Exemplare der Biberratte von Josef Fürsten zu Colloredo-Mannsfeld behufs Belebung des Parkteichs in Dobris ausgelassen und haben sich dort…
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Unsere Welt in Zahlen 1909

Im Jahrbuch 1909 des „Bureau des Longitudes“ in Paris werden auf Grund der neuesten Arbeiten einige Zahlen der  geographischen Statistik zusammengestellt, von denen die größten auf verschiedenen Gebieten hier wiedergegeben seien: Zunächst die Größe der Erdteile: Europa          10,100.000 Quadratkilometer,    437…
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