Pariser Chronik Februar 1889

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Der Februar war diesmal ungnädiger, als es seine Art zu sein pflegt. Sonst schickte er uns, mit der hinterlistigen Absicht allerdings, sich im März durch einige Schneestürme wieder schadlos zu halten, schon in den tollsten Carnevalswirbel einige warme Brisen von der südlichen Riviera in die Stadt, damit die paar Menschen, welche nicht in der Lage sind, auf fashionable Weise in Cannes ihren Husten und in Monte Carlo ihr Geld zu verlieren, auch eine Ahnung von der irdischen Glückseligkeit bekommen; in diesem Jahre jedoch hat uns der Februar dies Almosen versagt, und die originellen Leute, welche die Neigung besitzen, über das Wetter zu sprechen, haben den Monat über vollauf Gelegenheit gehabt, sich weidlich auszuschimpfen. Allein sie mögen schimpfen, wie sie wollen, den Hals in den Pelzkragen vergraben und mit den mehr oder minder eingesetzten Zähnen klappern: die Hoffnung auf bessere Zeiten malt sich trotz aller Kälte jeden Mittag in sonnengoldenen Strichen auf den blauenden Himmel. Der Lenz ist nah und mit ihm sind es alle Wonnen, welche einem Blumenduft, Waldesrauschen, Vogelsang und eine frische Frühlingstoilette bereiten können.

Die Letztere ist von besonderer Wichtigkeit. Bei unseren Damen drückt sich bekanntlich das Erwachen der Natur in dem poetischen Wunsche nach einigen neuen Kleidern aus, und nichts beschäftigt sie zur Stunde mehr als die Frage auf welche Weise dieser Wunsch sich erfüllen werde. Ach wenn sie doch einen Blick in die ängstlich behüteten Ateliers der Rue de la Paix werfen dürften, die der Sitz der legislativen und der exekutiven Gewalten im Reiche der Mode sind! Dort in den verschwiegenen Heiligtümern des Götzen Eitelkeit, hat man längst entschieden, was in der Ewigkeit der nächsten sechs Monate chic, „pschutt“ oder gar „v´lan“ sein, was für Roben, Sonnenschirm, Handschuhe und Blumen, welchen Hut und welchen – Hund man tragen müssen wird.

Das soll kein billiger Witz sein und vielleicht andeuten, daß die Mode auf den Hund gekommen ist. Sie ist allen Ernstes auf den Hund gekommen, aber dies gilt in Wirklichkeit und ist nicht nur figürlich gesprochen. Seitdem eine elegante Dame, die sich achtet, nicht ins Bois de Boulogne fahren darf, ohne daß ihr gegenüber auf dem Vordersitze der Equipage ein Hündchen die Pfoten von sich streckt, hat man sich gewöhnt, diesen Vierfüßler als zur Toilette gehörig anzusehen. Man wählt nun seinen „Toutou“ (so lautet der Kosename dieser kleinen Hunde) wie man die Farbe seines Mantels und den Schnitt seiner Corsage wählt, je nach dem er zum Teint, zum Haar, zu den Augen und zur Gesamtheit der Erscheinung paßt. Und da es einmal in der Tendenz der Mode liegt, den persönlichen Geschmack zu beseitigen und an Stelle der Laune und Phantasie eine drakonische Verfügung zu setzen, welche alle individuellen Neigungen unterdrückt, kann es nicht Wunder nehmen, daß sie schließlich auch die Hunde ihrem Machtspruche unterworfen hat, und nunmehr gebieterisch festsetzt, ob man Pintscher oder Möpse oder Teckel oder Bologneser „trägt“. Im vergangenen Sommer trug man beispielsweise kleine englische Rattler. In der heranbrechenden Saison wird man – doch nein, das darf ich Ihnen nicht verraten. Ich beabsichtige nämlich eine großartige Hausse-Spekulation auf allen europäischen Hundebörsen zu unternehmen, und würde mich um eine Million bringen, wenn ich mein Geheimnis preisgäbe.

Signatura temporis! Und zugleich ein Kennzeichen des Pariser Geistes, der dahin gelangt ist, die zarten, gemütlichen und von unserem Herzen geleiteten Beziehungen zu den Haustieren lediglich unter dem frivolen Gesichtspunkte des Putzes zu betrachten. Allein das ist eben „Fin de Siècle“, welcher Ausdruck die bereits veralteten chic, pschutt und v´lan abgelöst hat. Was „Fin de Siècle“ bedeuten will, läßt sich nur ungefähr erläutern: „Wenn du´s nicht fühlst, du wirst es nicht erjagen.“ Das Wort will ausdrücken, daß man endlich angefangen hat, das Leben lediglich decorativ aufzufassen, sich mit sentimentalen Vorurteilen nicht umherzuschleppen, das Vergnügen zum alleinigen Richter seiner Handlungen zu machen, jedem bizarren Einfall nachzugeben und selbst den ernstesten Möglichkeiten des Daseins mit jener eleganten Sorglosigkeit entgegenzutreten, welche das high-life auszeichnet. Im Theatre du Gymnase wird seit einigen Tagen ein Stück von Ernst Blum und Paul Toche; „Paris, fin de siecle“ aufgeführt, das uns einige hübsch gezeichnete Muster dieser hypermodernen Weltanschauung vor Augen stellt. Wir sehen da einen unsinnig reichen spanischen Herzog, der sich die Gunst der Damen der großen Welt erkauft, indem er deren zu schwindelerregender Höhe emporgewachsenen Schneiderrechnungen bezahlt; einen jungen Lebemann, der vierzehn Tage vor seiner Hochzeit seine Braut zu besuchen noch nicht Muse gefunden hat; eine Marquise, die fortwährend vergißt, daß diese Braut ihre Tochter ist; eine Tochter, die ihrer Mutter Vorwürfe macht, weil sie ihr einen jungen Mann, den sie gar nicht kennt, anstatt irgend eines alten mit schneeweißem Haar, der bequemer zu behandeln ist und sich „im Wagen besser ausnimmt,“ zum Verlobten ausgesucht hat, und schließlich einen Grafen, der um seinen hochfeudalen Herrn Papa zu ärgern, gegen seine Überzeugung in der Kammer mit der anarchischen Gruppe stimmt. Wir begleiten diese ganze Gesellschaft auf einen Ball, wo alle Frauen als Pierretten und alle Herren in roten Fräcken erscheinen; wo die letzteren sich über die überhandnehmende Prüderie der – Ballettmädchen, und die ersteren sich darüber beklagen, daß ihre Gatten zu selten ausgehen und ihnen durch diese Häuslichkeit lästig fallen; und wo zu guter Letzt alle von einer Brautausstattung sprechen, die als meistbewundertes Schaustück eine seidene „Robe de divorce mit gelben Agrements“ enthält. das ist allerdings der Triumph des Jahrhunderts, nicht nur das Fin, sondern das Superfin de Siècle, wenn dieses unfranzösische Wortspiel erlaubt ist.

Glücklicherweise trifft diese Satire nur einen kleinen Bruchteil der Pariser Bevölkerung, die man oft mit Unrecht für die Sünden und Lächerlichkeiten verantwortlich macht, welche wenige tausend Menschen als ein – allerdings glänzendes – Schauspiel den Gaffern darbieten. Die breite und solide Schicht des Bürgertums hat sich allen Verlockungen der Zeit gegenüber nicht nur ihre nüchternen und anständigen Grundsätze, sondern auch einen unverdorbenen Geschmack bewahrt, der das Schöne und Edle empfindet, wo es ihm auch gegenübertritt. Das hat sich wieder jetzt, gelegentlich einer Aufführung von Goethe’s „Egmont“ im Odeon gezeigt. Diese Aufführung ist ein kleines Ereignis, denn bisher war noch kein deutscher Klassiker auf einer französischen Bühne erschienen. Wir wollten auch so lange nicht an das Wagestück glauben, bis wir endlich den Liebhaber Clärchens mit klirrenden Heldenschritten leibhaftig über die Bühne des Odeon gehen sahen. Am ersten Abend schien die Aufnahme kühl und wollte sich nur bei Beethovens Musik mit lauterem Beifall äußern. Aber schon nach wenigen Tagen war das Publikum vollständig erobert und gab sich mit teilnahmsvollem Genuße der Goethe’schen Dichtung hin. Aus den zwölf Vorstellungen, die der Direktor von Egmont zu geben beabsichtigte, wurden zwanzig, und von diesem Erfolge ermutigt, entschloß er sich, nach Goethe Schiller, nach Egmont Don Carlos zu Worte kommen zu lassen. Posa hat Gedankenfreiheit verlangt, daß er sie nun auch auf einer großen Pariser Bühne verlangen wird, zeugt für die Freiheit der Kunst, die sich auf die Dauer durch politische Zwietracht nicht fesseln und nicht unterdrücken läßt. Siegmund Feldmann

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