Auto­mobilismus und Behörde, 1910

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Das Kraftfahrzeug als ein gefährlich Ding

Das Automobil ist nun doch einmal eine Maschine, und zwar eine recht komplizierte Maschine, und wenn es heute sogar unseren deutschen Automobilbesitzern, die sich täglich ihres Kraftwagens bedienen, ich darf ruhig sagen – leider – eine ganz erhebliche Anzahl gibt, die von dem Wesen und der Konstruktion des von ihnen benutzten Fahrzeuges keine Ahnung haben, und die sich in jeder Beziehung auf ihren Chauffeur verlassen, dann darf es nicht wundernehmen, wenn unsere Richter und Staatsanwälte, wenn unsere Polizeioffiziere und ihre Unterorgane, die das Automobil bisher im Gerichtssaal nur als einen Übeltäter und auf der Straße als eine Gefährdung des öffentlichen Verkehrs kennengelernt haben, das Kraftfahrzeug als ein gefährliches Ding betrachten, das die Öffentlichkeit bedroht und dem Publikum Ärgernis bereitet, und dem daher seine bösen Eigenschaften mit Feuer und Schwert in Form von hohen und folgedessen empfindlichen Geldstrafen ausgetrieben werden müssen.

Der Automobilist und Kraftwagenführer andererseits beansprucht für sich und sein Fahrzeug zumindest die selben Rechte, wie sie anderen Verkehrsmitteln, z.B. dem Fahrrad schon seit Jahren, wenn auch nach langem Kampfe, zugestanden worden sind.

Diese Wünsche erscheinen durchaus berechtigt, soweit und solange, als es sich nur um verständige, rücksichtsvolle Fahrer handelt. Leider aber ist die Zahl der rücksichtslosen und wilden Fahrer, obgleich in den letzten Jahren wesentlich geringer geworden, doch immer noch groß genug, um energische Maßnahmen der Behörden in manchen Fällen zu rechtfertigen.
Die große Schwierigkeit, die jeder Einsichtige unumwunden erkennen und zugestehen muß, liegt für die Behörden, und zwar für den rechtsprechenden Juristen ebenso, wie für den Exekutivbeamten, darin, daß ihn seine Unkenntnis der Eigenart des Kraftwagens recht häufig zu Mißgriffen verleitet, die der Buchstabe des Gesetzes und der Vorschrift wohl deckt und erklärt, die aber dem Fachmann in vielen Fällen ein erstauntes und ärgerliche Kopfschütteln entlocken müssen.

So steht heute etwa die Sache heute zwischen dem Automobilismus und den Behörden und man wird ohne weiteres eingestehen müssen, daß es Sache des Automobilimus ist, die Behörden und Organe über das Wesen und die Eigenart des Automobils aufzuklären.
Zeigen wir Automobilisten dem Herrn Polizeioffizier und dem Wachtmeister, daß fast jeder Benzinwagen raucht und riecht, sobald sein Motor aus der beschaulichen Ruhe von drei- bis vierhundert Umdrehungen plötzlich zu energischer Arbeit bei der dreifachen Tourenzahl aufgefordert wird; zeigen wir ihnen, daß er bei feuchtem Wetter stärker raucht, als bei trockenem, und daß fast in allen Fällen das Rauchen und der Geruch von selbst und sehr schnell verschwinden, wenn er flottere Fahrt macht; so werden sich die Hüter des Gesetzes diesen Demonstrationen gewiß nicht verschließen und in Zukunft Anweisung geben, nur noch diejenigen Automobilführer mit einem in mäßigen Grenzen gehaltenen Stafmandat zu bedenken, deren Motoren wiederholt und in abnormer Weise Rauch und Geruch entwickeln.

Der Rauch aus Fabrikschloten und der sich draus niederschlagende Ruß ruiniert sicher mehr weiße Wäsche als der Ölrauch der Automobile. Trotzdem aber wird der schuldige Schornstein nicht polizeilich notiert und der betreffende Fabrikherr nicht bestraft, weil man eben weiß, daß Steinkohlen Rauch und Ruß entwickeln, und weil es keinem Menschen einfallen wird, zu verlangen, daß der betreffende Fabrikant im Handumdrehen Abhilfe schafft. Ohne Fabriken keine Industrie, heißt es heute!

Folgert man weiter, so wird man finden, daß gerade dies Industrie die Automobile schafft, und betrachtet man den gegenwärtigen Stand des Automobilismus nach der Statistik, so wird man finden, daß von den 41 727 Kraftfahrzeugen, die am 1. Januar 1909 in Deutschland liefen, nicht weniger als 23 913 ausschließlich Erwerbs- und Nutzzwecken dienen, so daß die weitere Folgerung: “ Ohne Automobile kein Handel und kein Verkehr“, in wenigen Jahren auch von dem größten Widersacher des Kraftfahrzeugs ohne Vorbehalt wird anerkannt werden müssen.

Beweisen wir dem Regierungs- und Verwaltungsbeamten, indem wir ihn in unser Automobil setzen und ihn in dem vorgeschriebenen 15 km und weiter in dem ebenso häufig vorgeschriebenen 8 und 10 km Tempo durch Ortschaften fahren, daß diese Bestimmungen für das Automobil ein Unding sind, und daß sie in vielen Fällen gar nicht eingehalten werden können, so wird er erkennen, daß sie unzeitgemäß sind und wird in seinem Ressort daran mitwirken, daß sie zu gegebener Zeit geändert und verbessert werden, und zeigen wir dem gestrengen Herrn Staatsanwalt, der heute eine Gefährdung der Sicherheit darin sieht, daß ein Kraftwagen in dem fabelhaften Tempo von 30 km an einem mit scheuenden Pferden bespannten und mit einem schlafenden Kutscher besetzten Fuhrwerk vorbeigefahren ist, daß ebendieser Kraftwagen im Falle der Gefahr auf eine Entfernung von 3 bis 4 m mit Leichtigkeit zum Stehen gebracht werden kann, während eine etwa 20 km in der Stunde zurücklegende mit Pferden bespannte Taxameterdroschke dazu mindestens 8 m braucht, so wird er in seiner bisherigen Überzeugung von der Gefährlichkeit des automobilen Fahrzeuges gewiß wankend werden.

Ich erblicke in dieser notwendigen Selbsthilfe eine wichtige Aufgabe für die Automobilklubs und Chauffeurvereinigungen, die heute noch immer nicht genügend erkannt und nicht durchgreifend genug geübt wird, die aber bei richtiger und sachgemäßer Durchführung gewiß geeignet wäre, viele Tausende, die heute das Automobil mißachten und verfolgen, zu Freunden und Verehrern unseres modernsten aller Verkehrsmittel zu machen.
B. von Lengerke, 1910

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