Bemerkungen zum Velociped, 1883

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Tricycle, gewöhnlicher Sitz des Reiters

Die erste Grundlage zur Konstruktion des Velociped hatte 1817 der Oberforstmeister Freiherr von Draise in Ansbach mit der von ihm konstruierten Draisine gelegt, welche indes vorzugsweise bei Neubauten von Eisenbahnen zur Beförderung der Ingenieure auf solchen Strecken Verwendung findet, die noch nicht von Dampfwagen selbst befahren werden.
Das Vélocipède, zuerst französisch, jetzt allgemein verdeutscht, ohne die Accents und das angehängte „e“ geschrieben, verdankt in der dem Principe nach jetzt noch gebräuchlichen Form, seine Entstehung dem Pariser Mechaniker Michaux, an der mit der fortschreitenden Technik allerlei Veränderungen und Verbesserungen selbstverständlich nicht fehlen konnten.

Je nachdem ob die Maschine aus zwei Rädern besteht, welche in derselben Vertikalebene hintereinander laufen, oder drei Räder aufweist, von denen zwei durch eine Achse miteinander verbunden sind, unterscheidet man Bicycles und Tricycles.

Tricycle, Sitz senkrecht über der Achse

Im erstern Falle findet der Sportsman seinen Platz rittlings auf dem „backbone“ der ganzen Konstruktion, der starken bogenförmigen Verbindungsstange zwischen den Rädern; bei dem Tricycle gewährt die Achse zwischen den Hinterrädern bequemen Sitz.Bei sämtlichen Konstruktionen aber geschieht die Fortbewegung durch das Treten zweier Kurbeln, während die Lenkstange mit den beiden abstehenden Handgriffen neben der Aufgabe, die Maschine zu lenken, auch dem Körper einen gewissen Halt gewährt.

Das Bicycle setzt dem Erdboden den geringsten Widerstand entgegen und ermöglich deshalb die größte Geschwindigkeit. Es erfordert aber, obwohl die rotierende Bewegung selbst zur Erhaltung des Gleichgewichtes beiträgt, eine geschicktere Handhabung. Seine Benutzung empfiehlt sich daher für geübtere Reiter, während das Fahren mit dem Tricycle von älteren Herren, Anfängern, Knaben, selbst von Damen leicht erlernt und vielfach ausgeübt wird.

Da ist uns nun doch ein „slip of the tongue“ unterlaufen; wir hatten bislang sorgfältig vermieden, die Bezeichnungen „Fahren“ und „Reiten“ in Verbindung mit dem Velociped zu bringen und auch sonst immer lediglich das Substantivum als solches gebraucht, weil es uns darum zu tun war, vorher zu konstatieren, daß man in gleich schwerfälliger Weise sowohl „Reiten auf dem Velociped“ als „Velocipedfahren“ sagt, während der findige Engländer schon lange das bezeichnende und kurze Wort „bicycling“ für die Ausübung dieses Sport gefunden hat.

Von der Pose des Sportsman ausgehend, wäre es vielleicht am richtigsten, den Bicyclisten „reiten“ zu lassen, um das bequemere „Fahren“ für die auf dem dreirädrigen Velociped anzuwenden.Während das Bicycle für den eigentlichen Sport vorzugsweise geeignet scheint, wird das dreirädrige Velociped gewiss bestimmt sein, für das tägliche Leben mehr und mehr in Gebauch zu kommen. Der „smarte Yankee“ hat schon lange erkannt, das ein solches Vehikel weder Pflege noch Futter kostet und es dashalb zu Fahrten über Land und in der Stadt umso häufiger, als am Endpunkt der Reise das geduldige Tier keiner Aufsicht bedarf und nur festgebunden zu werden braucht, um es vor der Annexion von Seiten anderer Liebhaber zu wahren. Auch auf dem europäischen Kontinent gewinnt die Verwendung des Velocipeds zu diesen Zwecken immer größere Ausdehnung.

Omnicycle
Caroche

Namentlich in England hat das „tricycling“ bedeutend zugenommen und während eine vom Stanley- Club in London 1878 veranstaltete Ausstellung nur 70 Velocipede, darunter 3 oder 4 dreirädrige aufwies, konnte man bei der kürzlich stattgehabten Wiederholung mehr als 520 Maschinen, darunter 289, also mehr als die Hälfte Tricycles zählen.

Tatsächlich beschäftigt man sich in England in einem solchen Umfange mit steten Verbesserungen des vielbenutzten Tricycles, so daß bereits mehr als 300 verschiedene Konstruktionen vorhanden sein sollen.

Monarch

Auf den beigegebenen klar ausgeführten Zeichnungen geben wir unseren Lesern das Bild einiger der hauptsächlichsten Systeme. Bei allen bilden die hohen Räder das eigentliche Movens, und das dritte kleiner Rad dient zum Lenken, beziehungsweise zur Vergrößerung der Stabilität.

Gewöhnlich wird der Reiter wenig hinter die Achse der beiden Haupträder placiert, durch deren Treten er die Maschine in Bewegung setzt.

Sein Gewicht aber vermehrt die Kraft ohne größere Anstrengung und man hat deshalb stellbare Sitze konstruiert, welche es dem Reiter ermöglichen sollen, nach Erfordernis auch senkrecht über der Achse und den Pedalen Patz zu nehmen.

Der Monarch weist eine der einfachsten Konstruktionen auf, das Omnicycle und die Caroche zeigen eine mit der rechten Hand zu dirigierende Lenkvorrichtung während die linke Hand die für den Gebaruch auf volkreichen Straßen so wichtige, scharf wirkende Bremse mit einem Griff anziehen kann.

Humber
Sociable

Der Humber wird durch eine Querstange nach Art der Bicycles gelenkt, und soll die bisher mit dem Tricycle erreichte größte Geschwindigkeit ermöglichen.

Die verschiedenen Formen der sehr treffend als „sociables“ bezeichneten Konstruktionen endlich vermögen zwei, drei, auch vier Personen auf angenehme Weise von Ort zu Ort zu schaffen.

Zierelement
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