Englische Kranken­pflegerinnen, 1904

·

Die Entwicklung einer organisierten weiblichen Krankenpflege in Großbritannien geht auf kriegerische Ereignisse zurück und knüpft wesentlich an den Namen der Florence Nightingale an.
Sie hatte sich um die Mitte des 19. Jahrhunderts mit den Krankenpflege-Einrichtungen in Paris und in der Diakonissenanstalt zu Kaiserswerth vertraut gemacht und dann – als erste Frau – die Leitung eines Krankenhauses für Gouvernanten in London übernommen. Ihre mustergültige Tätigkeit daselbst in London unterbrach der Krimkrieg, der ihr größere Aufgaben zeigte.

Mit 50 von ihr ausgebildeten Pflegerinnen war sie in den Militärlazaretten der Krim tätig. Ihre Leistungen waren so großartig, daß ihre dankbaren Landsleute ein Kapital von 50 000 Pfund Sterling aufbrachten, welches unter dem Namen des Nightingale-Fonds zur Gründung des ersten, ihren Namen tragenden Institutes zur Ausbildung von Krankenpflegerinnen beim St. Thomas- Hospital in London diente.

In den seither verflossenen 50 Jahren sind allmählich bei einer großen Anzahl von Londoner und Provinz-Hospitälern ähnliche Schulen entstanden; organisierte Verbände bestehen jetzt in allen größeren Städten. Sie sind in der British Nurses Association vereinigt, die sich der Allerhöchsten Protektion der Königin Alexandra erfreut und königliche Prinzessinnen in ihrem Vorstande hat.  Von den Anwärterinnen wird englische Nationalität, nur Lebensalter von 25 bis 30 Jahren und Herkunft aus guter, standesgemäßer Familie verlangt. Besonders wird auf gute Erziehung Wert gelegt.  Die Pflegerin soll in jedem Kreise neben ihren Berufspflichten auch die einer Dame erfüllen können, Takt, Temperament, Geschicklichkeit und einen guten Charakter darlegen, ehe sie das Zeugnis einer ausgebildeten Pflegerin erhält.

In den Schulen bei den Hospitälern sind die Anwärterinnen den Oberärzten und der Oberschwester (Principal Matron oder Matron) unterstellt. Von beiden erhalten sie mehrjährigen Unterricht, dessen erste sechs Monate als Probezeit der Kandidatin angesehen werden.

Neugeborenenpflege

Die Lehrfächer haben zunächst die Verwendung im bürgerlichen Leben im Auge. Sie umfassen außer den Elementarbegriffen vom menschlichen Körper und dessen Funktionen die Gesundheitspflege, die Tätigkeit bei chirurgischen Erkrankungen einschließlich des Operationssaales und der Instrumenten- und Verbandmittelverwaltung; sodann die Krankenpflege bei inneren Leiden, einschließlich der Überwachung und Verabreichung der Diät; die Pflege der Wöchnerinnen und Neugeborenen; die Gemeindepflege und das gesamte Gebiet der Tätigkeit im Wäschemagazin wie in der Küche nebst Vorratskammer.

In allen diesen Zweigen ist der Unterricht theoretisch und praktisch. Prüfungen schließen jeden Lernzyklus ab; neue Befähigungsnachweise werden vor dem Einrücken in die höheren Grade gefordert.

Der unterste Grad ist der der Certificated Nurse. Es folgt die Sister, die Matron und Principal Matron. Ja, in dem speziell für die Armee bestimmten Queen Alexandra´s Imperial Nursing Service gibt es noch eine Matron in Chief, die die gesamte Oberleitung hat, Staatsbeamtin ist und 600 Mark Gehalt bezieht. 

Ich mache auf den fundamentalen Unterschied gegen die deutsche Organisation aufmerksam, der darin besteht, daß die ganze Einrichtung weltlich geblieben ist, während bei uns bekanntlich der Ursprung der Pflegerinnengemeinschaften unter geistlicher Leitung sich vollzogen hat – Diakonissenhäuser und katholische Orden – und zum überwiegenden Teil noch heute darunter steht.

Certificated Nurse and Matron

Die ausgebildeten Pflegerinnen wohnen in Nursing homes, soweit sie nicht in Hospitälern Quartier erhalten. Ich finde in einem englischen Fachblatt 1902 den Wunsch ausgesprochen, die Nursing homes zu strengerer Aufsicht den Kreisärzten zu unterstellen. Abgesehen von der Stellung in geschlossenen Krankenanstalten finden die Pflegerinnen wie bei uns in Familien und in der Armen-Krankenpflege Beschäftigung. Außerdem finden wir sie in den Gemeinde- Armen- und Arbeitshäusern und auf den Krankenstationen.

Ob eine Verwendung in ländlichen Distrikten stattfindet, wie z. B. bei uns in Ostpreußen bei der Bekämpfung der granulösen Augenkrankheit seit Jahren mit bestem Erfolge geschieht, war nicht zu erfahren. In den Hospitälern ist übrigens die englische Nurse keine Wärterin in unserem Sinne, sondern mehr Vermittlerin zwischen Arzt und Unterpersonal. Sie sorgt dafür, daß die Anordnungen des Arztes genau ausgeführt werden. Sie überwacht die Küche, die Wäsche und die Reinigungsarbeiten.

Kranke oder invalide Schwestern erhalten Krankengeld bzw Pension. Der Royal National Pension Fund for Nurses hat z. B. 1901  1633 Pfund Sterling, 1902  1568 Pfund Sterling an Krankengeld ausgegeben. Die Gesamtzahl ausgebildeter Schwestern wird in einem jährlich erscheinenden Handbuch mitgeteilt. Das sie – wie bei uns – dem Bedürfnis nicht genügt, geht aus der ärztlichen Literatur verschiedentlich hervor.

Es liegt in der Natur der Sache, daß die heimische Wirksamkeit der Pflegerinnen wenig nach außen hervortritt. Umso mehr tat dies ihre segensreiche Mitwirkung an der Krankenpflege in Kriegen. Der Tätigkeit im Krimkriege wurde bereits gedacht. 1870 erschienen mit der anglo-amerikanischen Ambulanz des Roten Kreuzes u. a. 16 englische Pflegerinnen, die teils in Paris, teils bei Sedan, teils in Darmstadt wirkten. An allen folgenden Kriegen der Engländer beteiligten sich der „Army Nursing Service„, in neuester Zeit ganz hervorragend im Burenkriege. In jedem der 14 Generalhospitäler in Transvaal waren neben zahlreichen freiwilligen Krankenpflegern 20 Pflegerinnen tätig.

Matron and Principal Matron

Es heißt in den Berichten ausdrücklich, daß die mehr von gutem Willen als von guter Ausbildung gestützten Pfleger nur unter Aufsicht der vorzüglich instruierten Nurses zu gebrauchen waren! Man kann sich eine Vorstellung des Dienstes in Südafrika machen, wenn man die von Herz mitgeteilten Zahlen überblickt: es waren neben 855 Ärzten 666 Pflegerinnen und 5668 Wärter an 18 600 Betten tätig! Die Organisation der militärischen Pflegerinnen ist 1902 neu ausgebaut und jetzt in einem Zweige für die Armee und einem für die Flotte unter dem Protektorat I.M. der Königin vereinigt.

Die Ausbildung geschieht in Netley. Jede Anwärterin muß ein Zeugnis über eine tadelfreie dreijährige Tätigkeit in einem Zivilhospitale beibringen und besonders empfohlen sein. Sie müssen sich verpflichten, erforderlichenfalls fünf Jahre außer Englands zu dienen. Sie stehen in festem Solde, sind pensionsberechtigt und werden für vorzügliche Leistungen auch dekoriert.

Die Zeitschrift „Lancet“ berichtet 1902 über eine feierliche Sitzung des Royal Naval Nursing Service, in der I.M. die Königin Alexandra 24 Schwestern eigenhändig Auszeichnungen überreichte. Neben den aktiven Pflegerinnen besteht eine Reserve von hundert Damen.

Die besprochene „Organisation für Frieden und Krieg“ stellt in England einen angesehenen und segensreichen Frauenberuf dar.
Generalarzt Dr. Körting, 1904

Zierelement
Next Post

Der Bacillus in Briefmarken, 1891

Prof. Mario Semmola Das ist das Neueste auf dem Gebiete der Mikroben, die nachgerade das ganze Universum bedrohen. Der Gelehrte, welcher in den Briefmarken Bacillen entdeckt hat, ist der italienische Professor Mario Semmola. Außer dem Papiergelde soll die Briefmarke besonders…
Read
Previous Post

Verstellbare Schiene für Knochen­brüche, 1899

Bei der gegenwärtig sich immer weiter ausbreitenden Vorliebe für Sports aller Art mehren sich natürlich auch die Unfälle, unter denen einfache Knochenbrüche zu den häufigsten gehören. Hierbei ist es höchst wichtig, daß das gebrochene Glied möglichst bald ordentlich eingerichtet und…
Read
Random Post

Ein Eroberer 1908

Sei gegrüßt, du fröhlich Märchen,Sei willkommen, Karneval,Kommt, Ihr beiden kleinen Närrchen,Kommt, wir gehen zum Faschingsball!Was uns auch bisher woll´t schrecken,In des Werktags trübem Grau,Heut werft alles in die Ecken,Heut ist uns der Himmel blau! ----------------------- Sei gegrüßt, du fröhlich Märchen,Sei…
Read
Random Post

Politische Humorrevue 1. Quartal 1899

Beginn der Serie: Dieswöchentliche Tätigkeit des Koriandoli-Grafen 14. Januar: Seine Excellenz Graf Franz v. Thun-Hohenstein* hat den über seine Brauerei in Bodenbach verhängten Boykott zur Kenntnis genommen und beschlossen zu - schweigen. * Vom März 1898 bis Anfang Oktober 1899…
Read
Random Post

Pariser Chronik Februar 1889

Der Februar war diesmal ungnädiger, als es seine Art zu sein pflegt. Sonst schickte er uns, mit der hinterlistigen Absicht allerdings, sich im März durch einige Schneestürme wieder schadlos zu halten, schon in den tollsten Carnevalswirbel einige warme Brisen von…
Read
Random Post

Ein neues Nagetier in Böhmen 1911

In mehreren Blättern erschienen kürzlich Berichte über ein neues Nagetier in Böhmen, über die sogenannte Biberratte. Im Jahre 1906 wurden einige Exemplare der Biberratte von Josef Fürsten zu Colloredo-Mannsfeld behufs Belebung des Parkteichs in Dobris ausgelassen und haben sich dort…
Read

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert

Sollte unwahrscheinlicherweise eine nach Ihrer Ansicht berechtigte Kritik an einer unserer Veröffentlichungen ihr Gemüt beunruhigen, so wenden Sie sich vertrauensvoll an unsere Redaktion dependance@illustriertesblatt.de