Wenn einer eine Reise tut, so kann er was erzählen. Das heißt, soweit ihm der Ärger nicht die Sprache verschlägt.
Wenn einer eine Reise tut, so kann er was erzählen. Das heißt, soweit ihm der Ärger nicht die Sprache verschlägt. Wenn wir schon hundertfach gerügte Mißbräuche unsres Bahnverkehrs wieder einmal zur Diskussion stellen, so geschieht das nicht in der Hoffnung, dadurch eine Besserung herbeizuführen. Allzu gut wissen wir, daß der Schlendrian und die Schlamperei erst gründlich Bankrott erleiden müssen, ehe man sich „maßgebenden Ortes“ zu Reformen aufrafft. Aber es tut doch gut, sich von Zeit zu Zeit die traurigsten unsrer traurigen Einrichtungen zum Bewußtsein zu bringen.
Nach einem bekannten Worte kann man den Kulturstand eines Staates an seinem Verbrauch von Seife messen. Ihrem eigenen Kulturstand entsprechend sind einige unsere Bahnverwaltungen emsig darauf bedacht, den Verbrauch von Wasser und Seife nicht ins Unangemessene steigen zu lassen. Wenn man zum Beispiel von Deutschland in unser gelobtes Österreich fährt, muß man mit Staunen wahrnehmen, daß in den Grenzstationen aus den Toiletten Seife und Handtücher entfernt werden und die Wasserspülung abgesperrt wird.

Wir lassen es dahingestellt sein, inwieweit eine solche Maßregel den Forderungen der Hygiene entspricht. Man sorgt aber auch väterlich dafür, daß die Reisenden nicht durch allzu große Bequemlichkeit verweichlicht werden. Deshalb muß der Raum, der in Deutschland in der ersten Wagenklasse für zwei Sitzplätze vorgesehen ist, für drei Sitzplätze reichen, ebenso in der zweiten Klasse je drei Plätze von der österreichischen Grenze an flugs für vier gelten. Da nun bekanntlich bei uns viel weniger Leute reisen, als im Deutschen Reiche, müßte jeder Passagier auf jeder Fahrt seinen Sitzplatz sicher haben. Trotzdem kann es oft genug vorkommen, daß man gezwungen ist, mit seinem Gepäck im Seitengange zu stehen. Nicht allein, weil der Zug oft überfüllt ist. Die Ursache ist gewöhnlich die, daß einzelne Kupees jenen Leuten reserviert bleiben, die durch ein ausreichendes Trinkgeld die miserablen Löhne der Kondukteure aufzubessern geneigt sind. Die Bahnverwaltung duldet diesen allgemein bekannten Unfug, wie etwa die Direktionen wandernder Menagerien es aus Sparsamkeit ganz gerne sehen, wenn die Besucher die Löwen, Tiger und all die anderen hungrigen Tiere füttern. Aber die stillschweigende Duldung hat einen Trinkgelderunfug großgezogen, wie er ähnlich höchstens in Rußland noch zu finden ist, wo man sich auf gewissen Linien die Lösung einer Fahrtkarte überhaupt ersparen kann, wenn man nur die Herren Schaffner mit einem ausreichenden Trinkgeld bedenkt. So weit sind wir ja noch nicht, aber schlimm genug ist es auch bei uns.
Wenn man mit einem Fremden aus dem westlicheren Europa über diese Dinge spricht, weiß man, so wenig man für diese Mißstände und all den Unfug dafür kann, gewöhnlich vor Beschämung nicht, wie man sich verteidigen soll. Man kann höchstens darauf hinweisen, daß auch internationalen Einrichtungen manchmal die krassesten Mängel anhaften.
Die Compagnie Internationale des Wagon-lits et des Grand Express Europêens, gewöhnlich kurz die Schlafwagengesellschaft genannt, ist ein Beispiel. Diese hat angeblich „im Interesse der Reisenden“ eine Vorschrift erlassen, daß – ohne Rücksicht darauf, ob Plätze frei sind oder nicht – während der Table d´hote nur jene Reisenden sich im Speisewagen aufhalten dürfen, die an dem gemeinsamen Essen zu festgesetzten Preisen teilnehmen. Reisende, die „nach der Karte“ essen wollen, müssen warten, bis die Table d´hote beendigt ist und werden, wenn sie an ihr nicht teilnehmen, vom Kellner einfach zum Verlassen des Wagens aufgefordert. Wie durch eine solche Vorschrift das Interesse der Reisenden gewahrt werden soll, ist uns nicht ganz klar.
Umso klarer ist es, daß sie vor allem das Interesse der Schlafwagengesellschaft zu wahren bestimmt ist, das Interesse, das darin besteht, möglichst viele Leute zur Teilnahme an der Table d´hote zu zwingen. Sehr oft bleibt nämlich – wegen Ankunft des Zuges nach Beendigung der Table d´hote in der Endstation – gar keine Zeit mehr übrig, „nach der Karte“ zu speisen. Ein Speisewagen ist aber schließlich nichts anderes, als ein reisendes Restaurant. Man stelle sich vor, daß einen ein Kellner in einem besseren Gasthaus vor die Alternative stellt: entweder Table d´hote speisen oder das Restaurant verlassen. Die Schlafwagengesellschaft, die ja ein Monopol besitzt, darf sich aber solche Dinge gegen die Reisenden herausnehmen. Die hüten sich ja, im Bewußtsein der Zwecklosigkeit jedes Protestes, aufzumucken und zahlen stillschweigend auch die hohen Preise für das schlechteste Essen, für das selbst im Winter lauwarme Bier, für altbackene Torten usw. Wer remonstriert, ist ein Krakeeler und die Schlafwagengesellschaft ist ja immer im Recht.
