Schauspielerin Pauline Ulrich, 1890

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Zu den hervorragendsten Mitgliedern der deutschen Bühne gehört Fräulein Pauline Ulrich, die bekannte erste Liebhaberin und Heldin des Dresdner Hoftheaters.
Als geborene Berlinerin machte sie ihre ersten Versuche auf der Bühne des Liebhabertheaters „Concordia“ und der des Berliner Hoftheaters und nahm dann ein Engagement in Stettin an. Von dort kam sie an das Hoftheater zu Hannover und 1859 an das Dresdner Hoftheater, das sie noch jetzt zu ihren besten Kräften zählt. Einer uns von der bekannten Schriftstellerin Dr. Helene Druskowitz freundlichst zur Verfügung gestellten Charakteristik der großen Schauspielerin entnehmen wir folgende Züge:

“ Pauline Ulrich ist eine echt deutsche Künstlerin, denn sie, die geborenen Berlinerin, ist merkwürdigerweise die Repräsentantin des Seelischen, Gemütsinnigen par excelllence.“ Unsere Künstlerin kann in der Darstellung des Elementaren durch Clara Ziegler, in der Ausübung der Dämonie der Leidenschaft durch die Molter übertroffen werden, in der seelischen Durchbringung der dichterischen Gestalten läßt sie hingegen ihre großen Rivalinnen hinter sich zurück.

Fräulein Ulrich erfaßt und veranschaulicht die dichterischen Gebilde stets intuitiv durch das Gefühl und die Phantasie, und nichts liegt ihr ferner als Berechnung, Nuancenjagd und die Kunstgriffe des bloßen schauspielerischen Raffinements.

Immer wieder wird die Verfasserin dieser Zeilen durch die herrlichen Darbietungen Pauline Ulrichs an die tief- innerliche Art von Marie von Ebner- Eschenbach erinnert. Die schöpferische Dichterin und die nachschaffende Schauspielerin zaubern ihre Gebilde aus derselben seelischen Substanz hervor, sowie Beide auch jenen anderen Zug, nämlich die Leichtigkeit, Heiterkeit und Grazie des Geistes miteinander gemein haben. Vorausichtlich dürfte weder die Dichterin, noch die dramatische Darstellerin mit diesem Hinweis auf die zwischen ihnen bestehende Affinität unzufrieden sein.

Worin Fräulein Ulrich unter allen deutschen Schauspielerinnen der Gegenwart einzig dastehen dürfte, das ist ihre abnorme Vielseitigkeit. Sie ist Meisterin in der Tragödie, im Schau- und Lustspiel. Der Umfang ihres Repertoires ist, eine Folge der Elastizität und Verwandlungsfähigkeit ihres Wesens und ihrer Gedächtnisstärke, ein sehr bedeutender. Man kann die Künstlerin in derselben Woche in zwei klassischen Tragödien, in einem französischen Sittendrama und in drei allermodernsten Lustspielen auftreten sehen. –
Als im November des vorigen Jahres das Dresdener Hoftheater zum ersten Male ein Stück Ibsens, „Die Stützen der Gesellschaft“ , brachte, übernahm Fräulein Ulrich die ihr scheinbar fernliegende Rolle der Lona Hässel, erzielte aber mit derselben den größten Erfolg.

Ein Ereignis im Dresdener Kunstleben war es, als die geniale Künstlerin vor kurzem die Donna Isabella in der Braut von Messina zum ersten Mal in Dresden spielte, nachdem sie früher schon in dieser Rolle in Moskau mit den Meiningern aufgetreten war. Nie konnte man das Seelenvolle der Künstlerin im Klange ihrer Stimme, in den hinreißend schönen Posen und Gebärden des höchsten Schmerzausdrucks, von denen man damals mit recht sagte, sie erinnern an die vollkommensten Gebilde der griechischen Plastik, mehr bewundern als bei dieser Darstellung der Niobe Messinas.“

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