Das Eisenbahnfahren ist nach Ansicht der Mehrheit, eigentlich eine Strafe, weil unsere Eisenbahnverwaltungen es noch nicht, gleich den amerikanischen, verstanden haben, dem Reisenden die gleichen Annehmlichkeiten zu bieten, wie sie von den Dampfschiffen geboten werden. So zahlen Viele, die es sonst eilig nicht haben, gern einen höheren Preis, um dem Eisenbahnwagen schneller zu entrinnen. Daher die erhöhten Tarife für Schnellzüge. Daher wohl auch der Vorschlag eines Fachmannes, des Dr. Vietor, Eisenbahnfahrten nicht mehr nach der zurückgelegten Entfernung, sondern nach der im Wagen verbrachten Zeit zu berechnen. Für eine Fahrt von 10 Minuten würde man, nach seinem Vorschlage, in der zweiten Klasse bei Personenzügen 20 Pfennige, bei Schnellzügen 40 Pfennige und bei Jagdzügen 60 Pfennige bezahlen, welche Steigerung damit begründet ist, daß der Fahrgast im Jagdzuge dem Marterkasten viel früher entrinnt, als der Unglückliche, der sich dem „Bummelzuge“ anvertraut. Man macht also nicht eine Reise von so und so vile Kilometern, sondern von so und so viel Minuten, und kauft die entsprechenden Zehn- oder Hundertminuten-Marken überall, wie Briefmarken. Ihre Geltungsdauer ist unbegrenzt und man gibt sie beim Antritt der Reise dem Schaffner gleichsam in Zahlung.
Was uns an dem Vorschlage gefällt, ist weniger der Minutentarif, wie der Gedanke, daß die Eisenbahn-Fahrkarten überall zu haben sind und eine unbegrenzte Gültigkeit besitzen. Der Gedanke ist bekanntlich bei der Berliner Stadtbahn und in Amerika mit einer kleinen Eimschränkung bereits durchgeführt, während die übrigen Bahnen noch immer an dem Zopfe festhalten, daß eine Fahrkarte nur für einen bestimmten Zug und eine bestimmte Zeit gilt. G. v. Muyden